Ich bin ja schon seit WAP-Zeiten der Meinung, dass mobile Websites nett gemeint sein mögen, aber in den meisten Fällen letztlich aus Besuchersicht für den Arsch sind. Mein Lieblingsbeispiel war bislang die Website einer Bekleidungsmarke mit eigenen Läden und Shop-in-Shop-Ecken in Kaufhäusern. Irgendwann stand ich im Keller bei P&C und suchte die nächste Verkaufsstelle dieser Marke, meine erste Anlaufstelle war – aus leidiger Erfahrung mit sehr unvollständigen und auch sehr unaktuellen Einträgen bei Google Maps – die Website dieser Marke. Die erkannte mein Mobilgerät und leitete mich ungefragt und ohne Rückweg auf die Mobilseite um, der aber der Filialfinder fehlte. Ich weiß nicht, welche wohlmeinende Entscheiderin da an der Macht war, aber sie war offenbar zu dem Schluss gekommen, dass jemand, der mobil auf ihre Website zugreift, kein Interesse daran hat, die nächste Verkaufsstelle zu finden, sondern lieber den heißesten Scheiß aus dem Sale sehen möchte.

Daraus leite ich seitdem für meine Studierenden – in meinen Augen recht plakativ – ab, dass man nicht mit halbem Ohr auf irgendwelche Berater hören sollte, die man auf der #DMEXCO getroffen hat und mit denen mal Bullshit-Bingo gespielt hat ("Wie, ihr habt noch keine #mobile1 Website? Was Euch da an Kontakten verloren geht!!"). Sondern dass man vielleicht ein paar Minuten eigenen Denkens investieren oder gar methodisch sauber herausfinden sollte, was die Nutzerinnen so sehen wollen. Oder, man kann es gar nicht oft genug sagen, einfach mal aufhört, aus irgendwelchen Launen heraus irgendwelche Annahmen in den Raum zu stellen. Keinesfalls sollte man Leute aber zwangsumleiten und ihnen den Rückweg auf die normale Website verwehren. Eine funktionseingeschränkte mobile Website ist kein Ersatz für eine normale Website, die sich auf halbwegs gut ausgestatteten Mobilgeräten halbwegs passabel benutzen lässt (das beinhaltet meistens, aber nicht zwingend, dass sie #responsive gestaltet ist). Das Problem geht ja noch viel tiefer, ich denke da an mein Windows 8 Touchgerät mit Full-HD-Auflösung, auf dem ich ganz oft Menüs nicht bedienen kann, ohne es zurück in den Notebookmodus zu klappen. Hört mit Euren naiven Annahmen auf, irgendwas sei irgendwie. Macht Websites, die davon ausgehen, dass auch krude Dinge vorkommen und die diese Unsicherheit entsprechend berücksichtigen.

Seit heute habe ich ein neues Beispiel für nett gemeinte, aber im Ergebnis super nervige Mobilumleitungen: Die #Rheinbahn. Unwetterbedingt war mir heute morgen nicht ganz klar, wie ich in die Hochschule komme. Also habe ich auf dem Handy schnell mal nachgesehen, was die Verkehrsinfoseite der Rheinbahn zu sagen hat. Natürlich lande ich auf der funktionsbeschränkten Mobilseite mit dem Charme einer WAP-Anwendung, aber auch da gibt es einen Menüpunkt "Verkehrsinfo". Da ist, schön nach Linien sortiert, auch einiges an Störungen zu finden. Die 706 ist nicht dabei. Zur Sicherheit lasse ich mir auf der Website des #VRR noch mal die Verbindung anzeigen, dort sind keine Unregelmäßigkeiten genannt. Eine knappe halbe Stunde Wartezeit später gebe ich auf und erfahre, dass auf der normalen Website der Rheinbahn eine große Infoseite zur Unwetterproblematik zu finden ist, auf der steht, dass einfach gar keine Straßenbahnen fahren. Warum steht das nicht auf der mobilen Verkehrsinfoseite? Warum gibt es diese spezielle und gerade aktut superwichtige Infoseite nicht auf der ungefragt umgeleiteten Mobilversion? Warum zeigt mir die Fahrplanauskunft keine Unregelmäßigkeiten an? Warum hat meine Haltestelle keine Anzeigetafel? Warum muss man scheinbar Sekundärquellen konsultieren (#RPOnline zum Beispiel), um von so wichtigen Infos wie einem komplett eingestellten Straßenbahnverkehr zu erfahren? Sowas nervt mich total.

Das Problem entsteht nach meinem Verständnis übrigens bereits bei der Entscheidung zur Umsetzung der mobilen Seite. Die wird offensichtlich automatisiert beschickt und deswegen von der Redaktion unter Stress schlicht vergessen. Jemand hat beschlossen, angesichts der Ausnahmesituation eine spezielle Themenseite aufzusetzen, um die Besucher möglichst gut auf dem Laufenden zu halten. Dazu wird auf der Startseite der normalen Website ein "Störer" platziert, damit auch niemand diese Seite übersieht. Das ist eine gute Idee an sich. Nur leider sollte das nicht bedeuten, dass die automatisiert beschickten Kanäle nicht mehr beschickt werden. Offensichtlich wusste das Fahrinfo-System nichts von den großflächigen Ausfällen und hat deswegen auf der Verkehrsinfoseite keine Infos anzeigen können, sondern eben nur die bereits vorher planmäßig im System erfassten. Und denen, die alle Hände voll zu tun haben, um die spezielle Infoseite aktuell zu halten, war scheinbar gar nicht bewusst, dass diese Informationen dann an der eigentlich dafür vorgesehenen Infrastruktur vorbei verbreitet werden. Aus deren Sicht haben die die Infos ja vollständig und gut eingepflegt. Aber es macht eben einen Unterschied, ob man einen Zettel an die Tür hängt oder eine Rundmail schreibt.

Ein anderes gutes und verwandtes Fallbeispiel sind Nachrichtenkategorien. Nehmen wir mal den Modellfall an, dass im Nachrichtensystem einer Hochschule verschiedene Nachrichtenkategorien bestehen, die in verschiedenen Kanälen ausgespielt werden. Etwa eine spezielle Kategorie für Termin- und Raumänderungen und eine Kategorie für allgemeine Ankündigungen. Auf der Startseite der Website werden die Nachrichten gemeinsam chronologisch ausgespielt, aber die Termin- und Raumänderungen lassen sich gesondert per RSS abonnieren, werden getrennt und andersartig auf den Infoscreens angezeigt und sie werden automatisch zu Twitter gepusht. Zudem werden sie in einer mobilen Webapplikation gesondert gehandhabt. Diese Nachrichten sind für die Studierenden von essentieller Wichtigkeit, weil sie darüber entscheiden, ob man sich früh aus dem Bett quälen muss oder nicht (oder bei den Superstudierenden dieser Hochschule: welche der doppelt belegten Veranstaltungen man besucht). Aus Sicht der Redakteurinnen sind beides Nachrichten, die sich in ihrem Erfahrungshorizont "Website" gleich anfühlen. Wenn diesen Redakteurinnen gar nicht bewusst ist, in welchen Kanälen die Nachrichten zusätzlich landen bzw. nicht landen, werden sie sie auch nicht gesondert handhaben. Da kann man noch so oft Handbücher schreiben und Regeln aufstellen, wie die Nachrichten zu texten sind, bei Twitter wird man trotzdem Nachrichten vom Typ "Ausfall Prof. Musterfrau" vorfinden. Wann? Welche Veranstaltungen? Man weiß es nicht. Im Haupttext der Nachricht steht das alles, aber der taucht in den meisten Kanälen nicht auf. Eine möglich Lösung ist es, einen der Infoscreens in die betreffende Redaktion zu hängen, den Erfahrungshorizont also durch physische Präsenz zu erweitern. Eine andere ist es, solche Nachrichten gebetsmühlenartig zu bemängeln. Das gilt übrigens auch die die korrekte Kategorisierung, ein Ausfall ist eben ein Ausfall und keine Ankündigung, zumindest wenn man sich darauf geeinigt hat, was man tun sollte. Ein Handbuch schadet also auch nicht, selbst wenn das niemand liest. Dazu dann ein Cheatsheet für hinter den Monitor und man kann seine Hände in Unschuld waschen. Oder auch nicht, je nachdem, ob man ein Schuhanzieher ist oder nicht.

Zurück zu den mobilen Websites. Da habe ich eine einfache Faustregel: Bleiben lassen und eine ordentliche responsive Seite gestalten. Oder, wenn es im Einzelfall Sinn ergibt, eine wirklich minimalistische Vorschaltseite mit den mobil nötigsten Infos einbauen und einen großen Button weiter die responsive Hauptseite zugänglich machen. Bei einem meiner Kunden haben wir das so gelöst, dass wir Adresse, Öffnungszeiten, Parkhausinfos, die Haltestelle und (korrekt verlinkte!) Kontaktdaten bei erkannten Mobilgeräten auf einer Vorschaltseite zusammenfassen und danach geht es mit einem großen Button zur normalen Website, die alle Informationen enthält und der Nutzerin nichts wohlmeinend vorenthält. Bei der Rheinbahn ist das jetzt offenbar in der Hektik übersehen worden, aber eigentlich machen die es auch schon richtig: Die Mobilseite hat einen Link zur normalen Website und enthält sonst nur automatisiert erstellte Inhalte und nichts stiefmütterlich behandeltes Redaktionelles. Da muss dann halt nur noch sicher gestellt werden, dass die automatisierten Systeme auch korrekt gefüttert und nicht wohlmeinend umgangen werden. So für den Arsch sind mobile Websites nämlich gar nicht, in dem Fall sind sie durchaus nützlich, wenn sie denn redaktionell funktionieren, wenn es mal drauf ankommt.


  1. Das ist ein gutes Beispiel, wie man Hashtags nicht benutzen sollte. Ich wollte das englische mobile verhashtaggen, hatte aber nur das deutsche mobile zur Hand. Im Ergebnis ist das egal, aber beim drüberlesen wird das im Zweifel verwirrend sein. Andererseits sagen Berater-Bullshitter ja auch gar nicht mobile Website (mit deutschem mobile), sondern mobile Website (mit englisch ausgesprochenem mobile), auch wenn das im Satzkontext holprig kling, denn es klingt einfach mehr nach Puls der Zeit. Nur so am Rande erwähnt. ↩︎

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