Aktuell wird viel geschrieben über die Paketkalypse und den Umstand, dass einige Paketdienste die Preise anheben werden, zumindest für die Lieferung an die Wohnungstür. Exemplarisch sei dieser Artikel bei golem.de hierzu verlinkt.
Wir haben hier mehrere Aspekte, die man betrachten muss. Einerseits die Sache mit der letzten Meile, die aufwendig und teuer und Ursache allen Übels ist. Andererseits die ethische Fragestellung der prekären Arbeitsverhältnisse in der Branche und die damit verbundene Problematik, überhaupt noch Leute zu finden, die den Job für das Geld (und zu den Bedingungen) machen. Und dann die Frage nach neuen Wegen, um der Sache Herr zu werden.
Beginnen wir mit den Arbeitsverhältnissen. Nicht erst seit sich das Neo Magazin Royale der Sache angenommen hat ist bekannt, dass in der Branche – bei einigen Anbietern mehr, bei anderen weniger – recht prekäre Arbeitsverhältnisse herrschen, kombiniert mit hohem Druck. Wenn man sich die Fahrer (nicht-generisches Maskulinum, ich habe bislang erst eine Frau erlebt, das war bei Amazon) anschaut, fällt einem jenseits von DHL (anderswo auch da) recht schnell auf, wie gehetzt und kaputt die Leute oft sind, die bei einem klingeln. Wenn man sich näher beschäftigt, möchte man am liebsten sofort jede Teilnahme an diesem System aufgeben. Wenn das so einfach wäre. Da ist diese Story mit Hermes in Düsseldorf, die Obdachlosen ein von außen unmoralisches und vermutlich ziemlich illegales, aus Sicht beider beteiligten Parteien aber eigentlich ziemlich gutes Angebot gemacht haben. Würde ich auf der Straße leben, warum auch immer, wäre das eine feine Sache für mich. Man höre sich dazu mal die Wrint-Folge mit und über die Obdachlosigkeit von Rio Burnz an. Jedenfalls kann es nicht sein, dass wir als Gesellschaft uns ein solches Prekariat heranzüchten, weil wir jedes Täubchen online bestellen, was bitte flott, billig und zu genehmen Zeiten direkt in unseren Mund geliefert werden darf. Ich nehme mich da gar nicht aus: gerade gestern Abend habe ich in einem Onlineshop eine halbe Stunde nach irgendetwas sinnvollem gesucht, was ich für ein paar Cent bestellen kann, um die Versandkostenfreiheitsgrenze zu erreichen. Weil ich aus einer Sparfuchsigkeit heraus einfach keine Lust hatte, die völlig angemessenen 4,95 Euro für den Versand zu bezahlen. Dieses Verhalten haben uns die Händler über zwanzig Jahre antrainiert und das kriegen wir so schnell nicht weg. Das macht den Versandunternehmen offensichtlich einen wahnsinnigen Preisdruck und der daraus resultierende Preiskampf wird auf dem Rücken der Lieferleute ausgetragen. Das ist scheiße, da brauchen wir glaube ich nicht groß drüber zu diskutieren.
Wie kommen wir also davon weg? Es ist völlig klar, dass den Leuten mehr Gehalt zufließen muss und die Trickserei mit den (schein-)selbstständigen Subsubsubunternehmern aufhören muss. In dem Kontext hege ich eine gewisse Schadenfreude, wenn ich lese, dass der Arbeitsmarkt leergefegt ist und gerade die besonders ausbeuterisch operierenden Unternehmen ansagen, dass sie keine Leute mehr zu den bisherigen Konditionen finden. Gut so. Das im Kopf gilt erst Recht: Eine klare Verbesserung kann es nur geben, wenn wir alle akzeptieren, dass die Paketzustellung, gerade die an die Wohnungstür, nicht weiter so billig bis kostenlos sein kann. Die Schritte dahin werden gerade eingeleitet, aber ich befürchte, das wird nicht reichen. Möglicherweise muss die Branche zusätzlich besser reguliert werden. Und/oder generell entlastet.
Womit wir zum Elefanten im Raum kommen: Die Wohnungstürlieferung muss teurer werden. Oder die Lieferung zu zentralen Pickup-Points billiger, wobei das ein falsches Signal setzen würde. Und wir brauchen – das wiederhole nicht nur ich seit Jahren – ein Netz von solchen Abholpunkten, die nicht exklusiv an einen Anbieter gebunden sind. Hier Amazon Locker, da DHL-Packstationen oder DHL-Theken, dort ein Hermes-Paketshop, da ein GLS-Paketshop und so weiter. Das ist fast so absurd wie der Umstand, dass bei uns am Tag vier oder fünf Wagen von verschiedenen Lieferdiensten in der Straße ausliefern, manchmal noch mehr. Und in den Locker kann ich fast nie etwas schicken lassen, weil er quasi immer voll ist oder die Fächer schlicht zu klein (eine einzelne Jumbotasse kam kürzlich in einem Paket, in das auch ein Multifunktionsdrucker gepasst hätte, versandkostenfrei und zu einem trotzdem sehr günstigen Preis über eBay). Das ist ein ineffizientes und bescheuertes System.
Was sind also die Gegenvorschläge: Aus meiner Sicht, also einer Konsumenten- und lokalpolitisch-volkswirtschaftlich geprägten Sicht, führt kein Weg daran vorbei, dass die Gemeinden oder Nachbarschaftsvereine eigene Infrastruktur zur Vefügung stellen. Also erst einmal an zentralen Orten Räume schaffen, die als anbieterneutrale Delivery- und Pickup-Punkte dienen. Dort arbeiten Menschen, das muss bezahlt werden. Aber weil man da ein gemeinschaftliches Problem löst (vor allem ein Verkehrsproblem), sehe ich kein Problem, dass diese Kosten von den Menschen getragen werden, denen diese Infrastruktur zur Verfügung steht. Ob über Steuern oder als geringer Mitgliedsbeitrag oder als Einzelnutzungskosten oder eine Kombination daraus muss man dann jeweils ausdiskutieren. Es muss aber eine Schnittstelle geben, die das handhabbar macht. Die also den Eingang einer Lieferung vermerkt und den weiteren Verlauf für die Nutzer_innen transparent macht. Und hier fängt es an, Wertschöpfung zu erzeugen, die über die bloße Vermeidung der letzten Meile hinausgeht. Denkt man etwa an Qool Collect in München sieht man, dass man mit einer solchen Nachbarschaftsinfrastruktur auch gleich noch mehr tun kann. In dem Fall gibt es Anprobekabinen und man kann direkt in der Station seine Pakete wieder auf die Reise schicken. Und es gibt Kühlmöglichkeiten für Frischwaren, weil explizit auch an die lokale Lebensmittellieferung gedacht wurde. Vielleicht kann man auch ein Stadtteilcafé einbeziehen, Kursräume, wer weiß was noch? Der Punkt ist doch, dass man hier einen Ort hat, an dem Menschen zusammenkommen, wenn eine Mehrzahl der Heimlieferungen eben dorthin gehen und nur noch gezielte Lieferungen (gegen Aufpreis) nach Hause kommen, so wie jetzt schon die Expresslieferungen teurer sind. Und Leerstand gibt es genug, seit zahlreiche Läden zu Recht oder zu Unrecht von Onlineshops abgelöst wurden und in den Räumen nur noch Büros hinter den Schaufensterscheiben zu finden sind.
Gerade in urbanen Umgebungen landen viele Pakete ohnehin bei Nachbarn oder in Pick-Up-Stores und die meisten Leute, die tagsüber arbeiten, würden ohnehin lieber dorthin liefern lassen; wenn es denn eine standardisierte Lösung nebenan gäbe. Ich wohne im Speckgürtel und da ist es kein Zufall, dass Amazon dort zuerst diverse Locker aufgestellt hat, bevor sie sich an die urbane Kundschaft wagen. Hier ist neben der Vielnutzung von Distanzhandel vor allem eine geringere Dichte von Stationen nötig: In verdichteten Gegenden müsste man an jeder zweiten Ecke einen Locker aufstellen, um zu verhindern, dass die Locker für die meisten Leute so weit weg sind, dass die Sache sehr unbequem wird. Im Speckgürtel oder ländlichen Gegenden sind die Leute viel eher bereit, wenige zentrale Punkte anzufahren, wenn sie ohnehin an ihren üblichen Mobilitätsrouten platziert sind. Und wenn man sich dann vorstellt, dass nicht nur Locker, sondern auch Packstationen und Äquivalente von DPD, GLS, Hermes, UPS und weiteren Anbietern dazukämen, wird einem schnell klar, dass das keine sinnvolle Lösung für verdichtete Räume sein kann. In Flingern gab es zwei Packstationen, die beide so weit weg waren, dass ich mit dem Fahrrad eine ganze Weile dorthin unterwegs war und das Auto ist offensichtlich auch keine sinnvolle Lösung für alle. So machte das gar keinen Sinn und ich habe die nur benutzt, wenn ich bereits ahnte, dass ich zum Lieferzeitpunkt nicht zu Hause sein würde.
Mit Mehrwerten von solchen zentralen Anlaufstellen meine ich auch, dass die letzte Meile dann hyperlokal organisiert werden kann. Beispiel: Ich bekomme eine Push-Benachrichtigung in meiner Abholstations-App, dass ein Paket angekommen ist. So groß, so schwer, von Anbieter XY. Der Paketdienst ist in dem Moment raus aus der Sache und der Workflow passiert in der App. Ich kann dann sehen, bis wann die Abholstation besetzt ist und kann weitere Optionen nutzen. Also etwa kurzfristig eine Weiterlieferung nach Hause in einem engen Zeitfenster anstoßen, wenn das verfügbar ist. Sprich: Wenn gerade Leute zur Verfügung stehen, die das übernehmen können. Oder ich kann schauen, ob ich für Nachbarn etwas mitnehmen kann. Dazu pflege ich eine Liste von Vollmachen für Leute, deren Pakete ich abholen darf und die meine Pakete abholen dürfen. In dem Fall könnte ich also mein Paket als „kann ein Nachbar mitbringen“ markieren oder selber ansagen, dass ich nachher um sieben Zeit hätte und Pakete für meine Nachbarn mitnehmen kann. Die bekommen das als Benachrichtigung und können annehmen oder ablehnen. Oder Leute können, à la Uber, darauf lauschen, ob es Pakete zu liefern gibt und das gegen Bezahlung organisieren, mit dem Lastenrad rumfahren oder einem Bollerwagen. Vielleicht haben die Stationen auch Schließfächer für Selfservice außerhalb der Öffnungszeiten und man gibt in der App an, dass man sein Paket dort hinterlegt haben möchte.
Da ist einiges möglich, man muss es nur tun und vor allem muss gewährleistet sein, dass man solche Bestellungen in allen Shops aufgeben kann. Die Stationen brauchen also eine Adresse und es muss gewährleistet sein, dass Pakete korrekt zugeordnet werden können. Das alles schreit geradezu danach, dass die digitale Seite solcher Systeme einmal zentral programmiert wird und dann Gemeinden und Nachbarschaftsinitiativen zur Verfügung steht. Zweckmäßigerweise wäre das Freie Software, aber auch kommerzielle Anbieter kämen infrage, die ihre Lösung zentral pflegen und weiterentwickeln und dafür einen angemessenen Preis ansetzen. Ich biete die Konzeption eines solchen Angebots in meiner Web- und App-Konzeptions-Lehrveranstaltung den Studis als mögliches Projekt an, bislang hat niemand angebissen. Wobei mir das auch eine Spur zu groß für diesen Rahmen wäre, das sehe ich eher als Bachelor- oder Masterarbeit. Wer sich angesprochen fühlt: Dringende gesellschaftliche Probleme sind anzugehen, jemand muss damit anfangen.
Nachtrag 01.03.2018: In Hamburg gibt es jetzt in einem Einkaufszentrum einen gemeinsamen Paketshop (vgl. diesen Beitrag bei e-tailment). Der empfängt nicht primär, sondern da geht es vor allem ums Versenden. Und da kommt ein Aspekt ins Spiel, den ich bislang nicht auf dem Schirm hatte: Das Kartellrecht. Konkret ist es da so, dass das getrennte Mitarbeiter machen müssen, die auch nicht frei miteinander reden dürfen und die explizit getrennte Systeme der Anbieter nutzen. Kompliziert, aber nachvollziehbar. Was ich oben beschrieben habe, kollidiert da aus meiner Sicht nicht, aber wenn man auch bequem versenden will, muss man dafür eine Lösung finden. Etwa eine Einigung mit den Anbietern, dass die extern beauftragte Pakete dort ohne die üblichen Haustürabholungsaufschläge abholen. Die Station bewahrt dann nur das bereits online beauftragte und adressierte Paket in meinem Auftrag auf, damit der Paketfahrer das nicht bei mir zuhause, sondern dort abholen kann. Das ist natürlich weniger komfortabel, aber die kartellrechtliche Problematik ist in der Tat vorhanden. Das Thema bleibt spannend, da sollte wirklich mal jemand eine Thesis drüber schreiben.
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